Hier können Sie die Andacht von Pfarrer Hans-Paul Ullrich auch als PDF herunterladen.
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Gemeinde,
Die meisten von Ihnen werden sie kennen, die Abenteuer des Baron von Münchhausen, dieser überaus schillernden Gestalt des Schriftstellers und Dichters Gottfried August Bürger.
Eines seiner Abenteuer möchte ich an den Anfang dieser Andacht stellen.
So erzählt Baron von Münchhausen:
»Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich ohnfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Kniee schloß, wieder herausgezogen hätte.« (Quelle:https://de.wikisource.org/wiki/Des_Freyherrn_von_M%C3%BCnchhausen_Wunderbare_Reisen, abgerufen am 28.01.2022 ¯ 18.00 Uhr)
Als meine Kinder noch klein waren, hörten sie diese Geschichten gern, waren die Schwindeleien doch leicht zu durchschauen.
Diese Geschichte habe ich ausgewählt, weil ich denke, dass fast alle Menschen in ihrem Leben das erfahren, was dem Baron von Münchhausen zustieß.
Ich meine, man versucht ein Hindernis zu überspringen, eine Aufgabe zu meistern und merkt schnell, dass man sich damit übernommen hat. Sicher, wir wissen, im Sprung kann man ein Pferd nicht herumreißen – wie es Münchhausen tat. Aber, wenn wir es übertragen, heißt es doch nichts anderes, als dass wir es nur noch einmal mit etwas mehr Energie versuchen. Und dagegen gibt es ja auch wirklich nichts einzuwenden.
Und so vertrauen mittlerweile immer mehr Menschen darauf, ihr Leben aus eigener Kraft meistern zu können. Sätze wie »Wenn du es nur wirklich willst, dann kannst du es schaffen« werden geradezu zu Leitsätzen. Ganze Bücherregale mit Ratgebern, wie ich aus eigener Kraft mein Leben meistere, gibt es mittlerweile im Buchhandel.
Aber was dann geschieht – auch das kennen sicher viele von uns. Dass man dennoch scheitert, abstürzt, den Boden unter den Füßen weggezogen bekommt und droht, unterzugehen – so wie Münchhausen im Sumpf unterzugehen droht.
Mal sind es Situationen, durch die wir dann doch irgendwie hindurch kommen, mal ist es wirklich so, dass wir den Halt verlieren und denken, dass wir wirklich untergehen…
Ich denke da an ein Ereignis aus meiner Zeit am Berufskolleg. Bei einem tragischen Autounfall ist einer meiner Schüler ums Leben gekommen. Ich denke an das, was sein Vater und sein Bruder, die wenige Jahre zuvor schon die Ehefrau und Mutter verloren, durchmachten.
In solchen Situationen, in denen man wirklich unterzugehen droht, bleibt einem das Lachen über die gerade gehörte Münchhausengeschichte im Halse stecken. Denn wir wissen, aus solchen Situationen können wir uns nicht am eigenen Haarschopf herausziehen, und mit uns vielleicht sogar noch andere. Da versagt unsere eigene Kraft ganz kläglich.
Und die Erfahrung machen Sie, liebe Leserinnen und Leser, liebe Gemeinde, doch vielleicht auch von Zeit zu Zeit. Ob daheim im Privaten, wenn wir als Folge der Pandemie, wenn wir aus Angst, Krankheit, Isolation und Einsamkeit den festen Boden unter den Füßen verlieren, oder bei der Arbeit, wenn diese uns über den Kopf zu wachsen scheint, wenn man unterzugehen glaubt.
In diesen Situationen bin ich froh, dass ich sie nicht allein durchstehen muss, dass ich mich nicht aus eigener Kraft aus dem Sumpf ziehen muss, dass ich nicht allein schwere und dunkle Wege gehen muss.
Ich wünsche uns für unser Leben – gerade für die dunklen Wege und Täler, die wir vielleicht durchschreiten müssen - die Erfahrung, die der Psalmbeter David machte.
Und ich lade Sie ein, diese Worte mitzusprechen und darauf zu vertrauen, dass wir uns nicht am eigenen Schopf und aus eigener Kraft retten müssen, sondern auf DEN vertrauen können, der stärker ist als wir.
Psalm 23
1Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. 5Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. 6Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. (Luther 2017)
AMEN
Ihr Pfarrer Hans-Paul Ullrich