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 „Tränen lügen nicht“

„Männer weinen nicht“, sagte man früher. Warum eigentlich nicht? Weinen ist doch ein deutlicher Ausdruck innerer Gefühle, bei jedem Menschen. Gefühle bestimmen das Leben. Warum soll „man“ das nicht zeigen dürfen? Lachen ist doch auch erlaubt? Und Weinen gehört auch zu unseren Lebensäußerungen?

Als der Prophet Jeremia seinen Brief aus Jerusalem an die Gefangenen in Babylon richtet, liegen schon viele Jahre fern der Heimat hinter ihnen. Es war im 6. Jahrhundert vor Christus. In der Deportation mussten sie sich der babylonischen Macht fügen, und ihr Glaube an den einen Gott, der sie einst erwählt hatte, schwand. Nun aber lässt Gott verkünden: Ich habe euch nicht vergessen, ich habe meine Liebe zu euch nicht aufgegeben. Ich werde euch retten. – So kam es dann auch.

Diese Botschaft gilt auch heute – uns. Viele Menschen leben in einem inneren und/oder äußeren Korsett, eingezwängt in den Druck und die Bedingungen des Alltags. Wenn Leistung gefordert wird, das Miteinander in der Familie und am Arbeitsplatz an den Nerven zehrt, die Kinder oder Eltern dem Leben oder den Aufgaben nicht gewachsen sind, dann beginnt nicht nur Lebensqualität zu zerbrechen, sondern auch die Seele Schaden zu nehmen. Wie oft hören wir Menschen sagen: Ich kann nicht mehr, ich könnte nur noch heulen. Das trifft nicht nur dieses Jahr zu, inmitten einer weltweiten Krise, in der sich jede*r wie in einem Käfig fühlt und sich nach Befreiung sehnt.

Doch das Wort Gottes schenkt Zuversicht. Übersetzen könnte man es so:

„Ich, dein Gott, habe dich nicht vergessen. Ich sehe deine Tränen – die versteckten und die sichtbaren. Dein Leben ist aus den Fugen geraten. Doch es wird die Zeit kommen, die wieder Ruhe und Freiheit heißen wird. Bis dahin habe Geduld. Ich bin bei dir und will dich begleiten – durch diese Zeit hindurch. Ja, ich bin dein Trost und dein Halt. Vertraue dich mir an.“

Ich wünsche uns allen, dass wir uns so an Gottes Hand wissen und er seine Zusage auch für uns erfüllt.

Pfarrer Günter Mattner