Liebe Leserinnen und Leser,
wir hatten einen langen Sommer. Selbst der Oktober überraschte mit ungewöhnlich warmen Temperaturen. Nun ist es plötzlich Herbst – wir befinden uns schon mittendrin. Das Laub erfreut durch bunte Farben, Straßen und Wege werden von abfallenden Blättern überhäuft. Die dunkle nasse Jahreszeit kommt spürbar näher. Das Ende des Kirchenjahres steht bevor mit seinen eher schweren Feiertagen wie Buß- und Bettag oder Ewigkeitssonntag. Für manche ist dies eine bedrückende und traurig stimmende Zeit, die ihre eigene Schwere hat. Erich Kästner fühlte wohl auch diesen Novemberblues:
Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor...
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.
Die letzten Kränze werden feilgeboten.
Die Lebenden besuchen ihre Toten.
In der Kapelle klagt ein Männerchor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.
Es regnet, Freunde. Und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Dieses Gedicht lässt mich schnell in den Blues gleiten, Erich Kästner hat ja wirklich keinen Raum für positive Stimmung gelassen. Mir gefällt der November aber auch. Denn er lässt Raum für Schweres – für Ruhe, Besinnlichkeit, Trauer. Für all das, was in den fröhlichen Zeiten des Jahres weniger Platz findet, aber seinen Ort braucht. Für das Nachsinnen über Schwieriges. Dafür gibt es im November auch den „Buß- und Bettag“. Unscheinbar versteckt er sich in der Mitte der Woche, aber er hat doch einiges zu sagen. Was ist das für ein Fest?
Im Altgriechischen heißt der Begriff für „Buße“ so etwas wie „Umdenken“ – eine „Umkehr des Denkens“. Spannender finde ich aber den hebräischen Buße-Begriff aus dem Alten Testament: Er lässt sich auch mit „Gottvertrauen“ übersetzen und das gefällt mir. Vertrauen in den Bund zu haben, den Gott mit den Menschen geschlossen hat. Vertrauen in einen Gott, dass er uns annimmt mit all unseren Schwächen und Fehlern, wie wir eben sind. Dass er uns nicht fallen lässt. Da kommt mir auch die Paradiesgeschichte in den Sinn. Adam und Eva haben von der verbotenen Frucht des Baumes gekostet und verstecken sich nackt und schambesetzt vor Gott. Zwar müssen sie als Konsequenz ihres Handelns das Paradies verlassen. Aber Gott macht ihnen „Röcke von Fellen und zog sie ihnen an“ (Gen 3,21). Sich Gott anzuvertrauen mit Schwächen und Fehlern. Gott liebt uns trotzdem und zieht uns Kleidung an – darum geht es für mich am Buß- und Bettag.
Die Frage ist: Warum liegt er am dunklen Ende des Kirchenjahres?
Das Fest weist Ähnlichkeiten zum Jom Kippur-Fest auf, dem höchsten jüdischen Feiertag. Nach dem jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchanah gibt es zehn Bußtage. Danach folgt Jom Kippur. In diesen Bußtagen soll man jeden Streit mit anderen beigelegt haben, um sich dann an Jom Kippur, dem „Tag der Versöhnung“ mit Gott für das neue Jahr versöhnen zu können.
Die zehn Bußtage gehen im Jüdischen also der Versöhnung mit Gott voraus.
Was kommt bei uns Christinnen und Christen nach dem Buß- und Bettag?
Das neue Kirchenjahr, beginnend mit der Adventszeit – eine Fastenzeit, die auf das Wichtige vorauszeigt: auf die Versöhnung Gottes mit den Menschen, auf die Menschwerdung Gottes!
Die dunkle Jahreszeit, dieser nasse und ungemütliche Monat mit seiner eigenen Schwere und Melancholie – kaum jemand mag den November. Für mich bleibt er aber auch ein schöner Kontrast zu dem, was kommt. Ein Kontrast zum leuchtenden Neubeginn, zum neuen Kirchenjahr, das mit einer Versöhnung startet. Ein Kontrast zum neuen Leben, zum kleinen Kind in der Krippe, das dem Tod und der Trauer etwas entgegenzusetzen weiß – eine versöhnende Hoffnung, die den Menschen entgegenstrahlt und durch die Finsternis immer durscheinen will. „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen (1. Joh 4,9).
Ich wünsche Ihnen einen guten November, mit ein bisschen Blues, aber auch mit leiser, durchscheinender, fröhlich klingender Musik in Dur! Gott sei mit Ihnen!
Ihre Pfarrerin
Janne Holzmann